Der Umgang mit Klimaanlagen steht symbolisch für die Entwicklungslogik einer Gesellschaft, die die gewünschte Ordnung internalisiert und die unerwünschte Unordnung externalisiert. Diese Technologie macht die Erderwärmung erträglich und trägt selbst dazu bei. Wer die Effekte der Klimakrise künstlich mildern kann, wirkt meistens verhalten in der Bekämpfung der Ursachen. Wie können wir aus dieser gefährlichen Spirale aussteigen?
Auch der Sommer 2022 hat es gezeigt: In Europa stellt sich zunehmend die Frage, wie sich Temperaturen über 40 Grad ertragen lassen. Seit 1881 ist die durchschnittliche Lufttemperatur in Deutschland um 1,6 Grad gestiegen. In den 1950er Jahren gab es im bundesweiten Mittel etwa 3,5 Tage pro Jahr mit Temperaturen über 30° C, in den letzten 30 Jahren waren es 9 Tage. 2022 könnte das zwölfte zu warme Jahr in Folge werden – und es wird noch heißer. Denn gleichzeitig steigen die weltweiten CO2-Emissionen weiter, so hoch wie 2021 waren sie noch nie.
Mit der Globalisierung des westlichen Entwicklungsmodells ist es zu einer dramatischen Verschärfung des Klimawandels gekommen. Denn Wachstum und Massenkonsum haben einen ökologischen Preis: Mit der Wirtschaftsleistung nehmen die Treibhausemissionen zu. Eine Industrialisierung auf Basis fossiler Energieträger (Kohle, Öl und Gas) ist heute keine westliche Domäne mehr. Seit 2005 ist China der größte CO2-Emittent weltweit, laut Europäischer Kommission zurzeit mit einem Anteil von 32,5%, gefolgt von USA (12,6%), EU (7,3%), Indien (6,7%) und Russland (4,7%).
Die Globalisierung der Klimaanlage
Für den Ökonomen Serge Latouche ist die Globalisierung ein Prozess der »Verwestlichung der Welt«, für den Historiker Karlheinz Deschner einer der »Amerikanisierung der Welt«. Damit wurde nicht nur ein Entwicklungsmodell universalisiert, sondern auch ein bestimmter Umgang mit der Hitze. »Die Amerikaner lieben ihre Klimaanlage«. Diese Technologie wurde vom Ingenieur Willis Carrier 1902 in New York entwickelt. Damals wurden zuerst die Fabrikhallen akklimatisiert, dann die Kinosäle. Ab den 1960ern förderte die US-Regierung mit einer Prämie die Anschaffung einer Klimaanlage in jedem Privathaushalt. General Electric unterstützte ebenso ihre Verbreitung, denn Klimaanlagen sind Stromfresser, für Energiekonzerne also entsprechend rentabel. Heute sind 90 Prozent der US-Haushalte mit einer Klimaanlage ausgestattet, in den Südstaaten sogar 97 Prozent (Breville 2019). Die größte Wirtschaftsmacht der Welt, die lange die Rangliste der Klimasünder anführte, hat so die Erderwärmung vermeintlich bezähmt, zumindest in den Innenräumen. Dass die Vereinigten Staaten bisher den internationalen Klimaschutzprozess eher gebremst als vorangetrieben haben, könnte auch damit zu tun haben. Warum soll man auf die hohen Profite der fossilen Wirtschaft verzichten, wenn die Effekte des Klimawandels abgefedert werden können?
Durch die Globalisierung haben zuerst Wirtschaftswachstum und Treibhausemissionen weltweit zugenommen und nun auch die Zahl der installierten Klimaanlagen: Von 580 Millionen im Jahr 1990 auf 1,62 Milliarden im Jahr 2016 (ebd.). Inzwischen sind Klimaanlagen in Südkorea und in Japan genauso selbstverständlich wie in den USA. Am Persischen Golf protzt man mit den Geräten: Während draußen Temperaturen über 40 Grad herrschen, kann man im »Mall of the Emirates« in Dubai sogar Ski fahren. Eine Fußball-Weltmeisterschaft in Katar? Kein Problem: Die acht Stadien, in denen ab November 2022 die WM ausgetragen wird, sind »Fully Air Conditioned«. Auch die Golfstaaten wollten bisher lieber am Ölgeschäft weiter verdienen als den internationalen Klimaschutzprozess zu unterstützen.
Die künstliche Mitigation der Erderwärmung
Die Erderwärmung lässt den Markt für innovative Klimatechnik rasant wachsen. Nach Hochrechnungen des Lawrence Berkeley Laboratory könnte sich die Zahl der Klimaanlagen bis 2050 weltweit verdoppeln und bei 3,5 Milliarden liegen. In Deutschland waren im Jahr 2015 nur drei Prozent der Haushalte damit ausgestattet, doch das ändert sich allmählich: Ihr Anteil könnte in den nächsten 30 Jahren auf 25 Prozent steigen, so eine Schätzung des Freiburger Öko-Instituts. Gleichzeitig tragen die Klimaanlagen selbst zur Erderwärmung bei. In dieser Technik werden Kühlmittel verwendet, deren Entweichung extrem klimaschädlich ist. Dazu verbrauchen die Geräte viel Strom. In den USA wurden 2015 sechs Prozent des hergestellten Stroms für die Akklimatisierung der Räume verbraucht, so viel Strom wurde auf dem afrikanischen Kontinent insgesamt konsumiert. Zum großen Teil wird diese Energie in Kohle- und Gaskraftwerken hergestellt, der Anteil liegt in den USA bei 64 Prozent, weltweit ist er ähnlich hoch. Klimaanlagen sind inzwischen in fast jedem Auto installiert: Hier verursachen sie einen erhöhten Benzinverbrauch und tragen auch damit zum Treibhauseffekt bei. Die Erderwärmung fördert die Expansion der Klimatechnik, die ihrerseits zur Erderwärmung beiträgt. Es sind solche selbstverstärkenden Rückkopplungsprozesse (Teufelskreise), die an der Basis jeder Umweltkrise stehen.
Zur thermodynamischen Logik der Entwicklung
Jede wachsende Ordnung führt woanders zu einer wachsenden Unordnung: Das besagt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, jener der Entropie. Genau diese Logik wurde mit der Liberalisierung der Märkte gefördert: Die Erträge der Entwicklung werden internalisiert, ihre Kosten externalisiert. Während die oberen Schichten das Wachstum in akklimatisierten Räumen genießen, sind die Ärmeren, die künftigen Generationen und die Natur die Leidtragenden des Klimawandels. Warum sollten die Nutznießer der Entwicklung eine Kehrtwende vollziehen, wenn die anderen die Kosten tragen?
Dass die Grenzen in der Globalisierung offen sind, hat sich schon längst als Mythos herausgestellt: Die einen jetten durch die Welt, die anderen werden hinter den Zäunen aufgehalten oder sterben im Mittelmeer. Die Wohlstandsinseln sind auf Nahrungsmittel- und Energieversorgung angewiesen, gleichzeitig müssen sie ihre Ordnung vor der wachsenden Unordnung schützen. Für den Soziologen Steffen Mau funktionieren die Grenzen in der Globalisierung wie »Sortiermaschinen«. So ähnlich ist es bei Klimaanlagen: Sie machen die Innentemperatur erträglicher und geben gleichzeitig Abwärme in die Luftumgebung ab. Um die Innentemperatur angenehm zu halten, müssen die Innenräume nach außen abgedichtet sein. Allein die Klimaanlage darf den Wärmetausch zwischen Innen und Außen regeln.
Diese neuen Grenzen schützen nicht nur den Wohlstand, sondern auch die Ursachen der Unordnung. Die Mauern und die Dämme versperren unseren Horizont, so dass wir die Auswirkungen unserer Lebensweise nicht wirklich wahrnehmen. Solange man an der gegebenen Ordnung festhält, wird die Unordnung da draußen weiter zunehmen. Inzwischen rechnet die Weltbank mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen bis 2050. Werden wir sie alle willkommen heißen?
Was die Gesellschaft im Großen tut, tun die Klimaanlagen im Kleinen. Die Dichte an Klimaanlagen überhitzt die Großstädte im Sommer zusätzlich und macht das Leben draußen unerträglich. Viele Menschen verbringen so ihren Sommerurlaub an den Küsten, andere kaufen sich ein Domizil in milderen Regionen. Wenn immer mehr Franzosen in die Bretagne ziehen, dann ist dies auch eine Folge des Klimawandels. Durch die Nachfrage steigen dort die Boden- und Immobilienpreise. Wer kann sich ein Leben an der frischen Luft dann noch leisten?
Die Klimakrise als soziale Krise
An den äußeren und inneren Grenzen der Gesellschaft nehmen die Sortiermaschinen ständig eine Selektion vor. Sie bestimmen, wer teilhaben darf und wer nicht; wer privilegiert und wer benachteiligt wird. Als selektive Codes dienen dabei Macht, Geld und Status. Wenn eine Krise zu einer Knappheit führt, dann steigen die Preise, dadurch wird der Kreis der Privilegierten kleiner und jener der Benachteiligten größer. Mit anderen Worten: Die Selbstregulierung der Preise auf dem Markt garantiert, dass die finanzstarken Gruppen den exklusiven Zugang zu einem knappen Gut aufrechterhalten, und zwar auf Kosten des Restes. Wenn die Strompreise steigen, dann kann nicht mehr jeder den eigenen Raum klimatisieren. Macht bedeutet, dass die Eliten deutlich mehr Einfluss auf Entscheidungen über die Entwicklung der Gesellschaft haben. Sie tagen zum Beispiel bei den UN-Klimakonferenzen, selbstverständlich in klimatisierten Räumen. Am 7. November 2022 wird der 27. Weltklimagipfel in ägyptischem Scharm El-Scheich beginnen. Tausende Delegierte aus der ganzen Welt werden wieder dahin fliegen. Welches Ergebnis dürfen wir dieses Mal erwarten?
Die Spaltung der Weltgesellschaft in Eliten und Massen sollte uns genauso viele Sorgen bereiten wie die steigenden CO2-Emissionen. Einerseits sind es die sozialen Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft, die die Erderwärmung verschärfen. Andererseits drücken sich Ungleichgewichte zwischen System und Umwelt in sozialen Polarisierungen aus, die zunehmend in Konflikte umschlagen.
Mitigation oder Anpassung?
Der moderne Fortschritt verspricht eine Lösung der Probleme durch technologische Innovation. Um am System festzuhalten, wird die Umwelt angepasst, zum Beispiel durch Klimaanlagen oder Gentechnik. Zunehmend merken wir jedoch, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Die Umweltkrise wird allmählich zur Systemkrise. Neue Technologien wie das Elektroauto verlagern die Probleme, anstatt diese zu lösen. Spätestens Wasserknappheit und Ernteverluste zeigen, dass das Klima deutlich relevanter als die Banken ist. Wer die Unordnung stoppen will, muss die künstliche Ordnung hinterfragen, womöglich loslassen. In der Evolution sind nur die Systeme überlebensfähig, die sich neuen Umweltbedingungen anpassen können.
Nur mit einem energetischen Umbau der Gesellschaft können wir den Klimawandel überwinden. Jede große Transformation der Gesellschaft beinhaltet jedoch deutlich mehr als das bloße Ersetzen von Energieträgern und Technologien. In der neolithischen Revolution vor 11.000 Jahren und in der industriellen Revolution korrespondierte ein Wechsel des Energieregimes mit einem Wechsel des sozialen Regimes. Das gilt auch für eine große Transformation zur Nachhaltigkeit. Die Energiewende ist keine Aufgabe für Großkonzerne, sondern erfordert eine Dezentralisierung der Produktion und der Organisation. In der Globalisierung können die Profite privatisiert und die Kosten sozialisiert werden. Energiekonzerne wie RWE verursachen große Schäden und werden trotzdem vom Staat subventioniert, gar mit Milliarden »entschädigt«. Das muss ein Ende haben: Jeder sollte selbst für alle Kosten des eigenen Handelns haften. Schon die konsequente Auslegung dieses Prinzips würde zu einer komplett anderen Wirtschaft und Lebensweise führen.
Eine Reduktion der CO2-Emissionen durch das Ausschalten von Kohlekraftwerken ist gerechter als ein Handel mit CO2-Zertifikaten. Ein Verbot von Inlandflügen und SUVs ebenso, weil er für alle gilt. Warum müssen wir immer weiter wachsen, wenn wir auch umverteilen können? Eine Umverteilung wird nicht nur von oben nach unten benötigt, sondern auch vom Privatwesen zum Gemeinwesen. So ist ein starkes, bezahlbares ÖPNV-Netz klimaschonender als der private Autobesitz. Soziale Ungleichheit wird durch eine Unterbindung der Spekulationen überwunden genauso wie durch eine demokratische Gestaltung der Preise. Bevor weitere Flächen für den Neubau versiegelt werden, sollten in Deutschland die 1,7 Millionen leerstehenden Wohnungen nutzbar gemacht werden. Während die Globalisierung ein System der Fremdversorgung ist, benötigt Nachhaltigkeit mehr regionale Selbstversorgung, sprich eine Ökonomie der Nähe.
Gegen die Erderwärmung ist eine Renaturierung der Gesellschaft deutlich effektiver als Klimaanlagen. Große Mischwälder sorgen für mehr Regen. Bäume machen die Städte nicht nur kühler, sondern auch lebenswerter.
© Davide Brocchi – Köln, 6.9.2022
Literatur
- Breville, Benoit (2019): Kalte Luft. Eine kurze Geschichte der Klimaanlage. In: Le Monde diplomatique, Atlas der Globalisierung. Berlin: Le Monde diplomatique/taz Verlag, 2019. S. 36-39.
- Brocchi, Davide (2020): Nachhaltigkeit und soziale Ungleichheit. Wiesbaden: Springer VS.
- Commoner, Barry (1973): Wachstumswahn und Umweltkrise. München: Bertelsmann.
- Deschner, Karlheinz (1992): Der Moloch. Zur Amerikanisierung der Welt. Stuttgart: Weitbrecht.
- Latouche, Serge (1994): Die Verwestlichung der Welt. Frankfurt/Main: dipa.
- Mau, Steffen (2021): Sortiermaschinen: Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert. München: C. H. Beck.
- WBGU (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Berlin: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).
Bild: Wikipedia. Lektorat: Annette Schwindt, Bonn
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