Mein Buch und seine Entwicklung

Was sind die Hintergründe meines Buches »By Disaster or by Design? Transformative Kulturpolitik?« Darüber stellte mir Lea Lükemeier von der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein einige Fragen …

Was hat Sie dazu motiviert oder inspiriert, Ihr Buch »By Disaster or by Design? Transformative Kulturpolitik« zu schreiben? Wie sind Sie darauf gekommen, sich auf dieses sehr spezifische Thema zu konzentrieren?

Als ich 1969 geboren wurde, betrug die Weltbevölkerung 3,6 Milliarden Menschen. 1972 wurde der erste Bericht des Club of Rome »Die Grenzen des Wachstums« veröffentlicht und die erste UN-Konferenz zur Umwelt des Menschen fand in Stockholm statt. Wir debattieren also schon seit mehr als 50 Jahren über Nachhaltigkeit – und trotzdem geht die tatsächliche Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Das ist es, was ich in den Zeitungen im Januar 2025 lese: »Die Menschheit ist laut den Atomwissenschaftlern hinter der ‚Doomsday Clock‘ näher als je zuvor an einer Katastrophe: Es sind noch 89 Sekunden bis Mitternacht«.

Einige Soziologen definieren unsere Gesellschaft als »Wissensgesellschaft«. Heute wissen wir viel über die Probleme sowie über die möglichen Lösungen. Aber wir wissen nicht so genau, wie wir von den Problemen zu den Lösungen kommen – und das ist die Frage der Transformation. Nach der Finanzkrise von 2008 und dem Scheitern der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen ist der Begriff der Transformation zum zentralen Leitmotiv der Nachhaltigkeitsdebatte avanciert – und bildet zugleich den roten Faden meines Buches

Um zu Lösungen zu gelangen, muss man bereit sein, die Probleme loszulassen. Wer Nachhaltigkeit will, muss sich von der Nicht-Nachhaltigkeit verabschieden: Das ist die wichtigste Voraussetzung für Transformation. In der Politikwissenschaft bedeutet Transformation nicht eine Korrektur oder Optimierung des Systems, sondern einen »Systemwechsel« (Wolfgang Merkel). Heute stellt sich nicht mehr die Frage, ob wir einen radikalen Wandel wollen oder nicht: Wir befinden uns bereits mittendrin. Die einzige Frage ist, wie dieser Wandel stattfinden wird: by Disaster or by Design. Der Titel meines Buches ist beinahe ironisch, denn in den vergangenen Jahrzehnten mussten wir erkennen, dass selbst die physische Erfahrung von Krisen und Katastrophen nicht zwangsläufig zu einem Wandel by Design führt. Trotz der großen globalen Finanzkrise 2008 wird heute immer noch auf den Finanzmärkten spekuliert. Trotz des Klimawandels sind alle Parteien im deutschen Parlament für noch mehr Wachstum. Trotz der Krise der Demokratie bewegen sich die meisten Parteien nach rechts, statt die Demokratie zu stärken. Unsere Entwicklung führt uns in eine Sackgasse, aber die Gesellschaft drückt auf das Gaspedal. Wie ist das möglich? Eine erste Antwort auf diese Frage liegt in der »Macht der Kultur«. Kultur ist nicht nur positiv, sondern auch Teil des Problems. Solange wir in bestimmten mentalen Infrastrukturen gefangen bleiben – in einer »Culture as usual« –, wird sich die Geschichte wiederholen. Eine nachhaltige Transformation erfordert keine bessere Ideologie, sondern vor allem individuelle und kollektive Lernfähigkeit – eine »kulturelle (R)evolution«.

Eine zweite Antwort liegt in sozialer Ungleichheit und hegemonialen Strukturen. Sie behindern eine nachhaltige Transformation, etwa weil sie ermöglichen, die Kosten unserer Lebensweise zu verlagern – auf den Globalen Süden, auf künftige Generationen und auf die Natur. In meinem Buch versuche ich zu erklären, warum es keine Nachhaltigkeit ohne soziale Gerechtigkeit und eine Demokratisierung der Demokratie geben kann.

Hier geht es mit dem Interview weiter…

 

Zum Buch:

Davide Brocchi

By Disaster or by Design?
Transformative Kulturpolitik: Von der Polykrise zur systemischen Nachhaltigkeit
Wiesbaden: Springer VS, 2024

 

 

 

 

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