Beziehung kommt vor Inhalt. So lautet die wichtigste Formel der Kommunikationspsychologie nach Paul Watzlawick. Egal, ob es um Weltpolitik, Wohnpolitik, Wirtschaftspolitik oder Klimapolitik geht: Wie sich die Akteurinnen zu einer Sache verhalten, hängt von der Form und der Qualität ihrer Beziehungen ab. Stimmt die Beziehung nicht, kommt man in der Sache nicht weiter. Will man in der Sache weiterkommen, muss man zuerst die Beziehung klären. Genauso ist es mit Quartiersentwicklung: Es macht einen großen Unterschied, ob sie von oben herab vorgegeben wird oder partizipativ mitbestimmt werden darf, und ob lokale Transformationsprozesse in einer Atmosphäre des Vertrauens oder des Misstrauens stattfinden.
Obwohl menschliche Beziehungen so grundlegend sind, werden sie von den Hauptakteurinnen der modernen Stadtplanung kaum wahrgenommen – und wenn, dann als Störfaktor. So behandelt die öffentliche Verwaltung die Stadt meist wie eine Maschine, deren Funktionsweise garantiert werden soll. Für sie ist das Quartier eine administrative Planungseinheit und die Quartiersentwicklung vor allem eine technische Aufgabe. Die Immobilienwirtschaft hingegen betrachtet die Stadt als Markt. Für sie sind Grund und Boden eine Ware oder gar ein Spekulationsobjekt. Entsprechend gestalten Investorinnen die Quartiersentwicklung nach dem Prinzip der Rentabilität. In beiden Perspektiven werden die Menschen in den Quartieren objektiviert: Einwohner:innen benötigen Wohnungen, Verbraucher:innen Geschäfte, Angestellte Büros und Autofahrer:innen ausreichend Parkplätze. Ausgeblendet werden die Menschen als mündige Subjekte und emotionale Wesen, die an den Orten leben und zu ihnen eine Beziehung aufbauen.
Hat die Jugend in alten, verstaubten Fabriken eigene Klubs eingerichtet? Für die Modernisierung des Quartiers ist dies lediglich ein Hindernis. So werden gelebte Begegnungsorte und alte Bausubstanz geopfert, um neue Einkaufszentren, Luxuswohnungen und Bürogebäude zu bauen. Während Funktionen industriell reproduziert werden können, geht eine zerstörte Mensch-Raum-Beziehung unwiderruflich verloren. So ist das Ergebnis der Modernisierung meistens ein steriles Quartier, das keine emotionale Identifikation entfaltet und nur konsumiert werden kann.
Nachhaltig ist eine Entwicklung nach menschlichem Maß. Dabei ist Bewahrung mindestens genauso wichtig wie Innovation. In dieser Perspektive ist das Quartier weder eine Maschine noch ein Markt, sondern ein lebendiges, einzigartiges Ökosystem aus Menschen, Räumen und Infrastrukturen, sprich aus biotischen und abiotischen Faktoren. Einerseits ist Nachhaltigkeit eine Notwendigkeit, denn sie betrifft die Widerstandsfähigkeit und die Resilienz von Ökosystemen in einer Zeit der multiplen Krise. Andererseits ist Nachhaltigkeit eine Chance, denn damit ist ein gutes Leben gemeint, das nicht auf Kosten anderer geht: des globalen Südens, der schwächeren Schichten, der künftigen Generationen und der Natur…
© Dr. Davide Brocchi, Köln. Diese Textprobe stammt aus meinem Beitrag in: Sally Below, Christopher Dell (Hg.), Piazza Spinelli – Übungsraum für die Stadt. Berlin: Jovis. S. 75-86. Das Buch kann hier bestellt werden.
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