Die Frage ist heute nicht, ob ein radikaler Wandel unserer Gesellschaft stattfinden wird, oder nicht: Wir sind mittendrin. Die einzige Frage ist, ob er by design or by disaster stattfinden wird. Ein Wandel by design ist ein kultureller Wandel. Er beginnt in den Köpfen, um die Katastrophe vorzubeugen. Er wird nicht erst durch die materielle Not erzwungen.
Die Begriffe Kultur und Nachhaltigkeit beziehen sich auf eine sehr Höhe Komplexität und sind deshalb unscharf.
Jede gesellschaftliche Entwicklung, jeder Städtebau, jeder Lebensstil ergibt sich aus der Materialisierung, aus der Vergegenständlichung eines Kulturprogramms. Kultur ist der Bauplan einer Gesellschaft, die DNA einer Gesellschaft, stand 2003 im Programm von Kulturattac, dem Kulturnetzwerk von Attac-Deutschland. Wie unterscheidet sich das Kulturprogramm der Nachhaltigkeit vom heute dominanten? Das ist die zweite Frage, die wir uns stellen sollten. Die dritte Frage: Wie kann der Kulturwandel stattfinden? Wie kommen wir von der heute dominanten Kultur zu einer nachhaltigen Kultur? Dabei spielen die Medien eine zentrale Rolle. Eine Kultur braucht Medien, um in die Köpfe zu kommen. Auch die beste Kultur kann ohne Medien keine gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten. Mit Medien meine ich nicht nur die Massenmedien, sondern auch die Bildungsinstitutionen und die Künste.
Jeder Mensch ist ein Kulturträger, ein Medium von Botschaften. Die Transformation zur Nachhaltigkeit ist ein individueller und kollektiver Lernprozess, Nachhaltigkeit erfordert Lernfähigkeit. Es geht bei der Nachhaltigkeit nicht darum, eine Ideologie mit einer besseren zu ersetzen, sondern es geht um eine Eigenschaft von Kultur, eben ihre Fähigkeit zu lernen. Lernfähigkeit und Ideologie schließen sich gegenseitig aus. Lernfähigkeit ist per se anti-ideologisch und meint die Fähigkeit, sich mit dem Fremden auseinanderzusetzen, mit dem, was wir nicht wissen. Die Lernfähigkeit ist für mich das entscheidendste Merkmal einer kulturellen Nachhaltigkeit. Bei Jürgen Habermas und in der sogenannten Kulturökologie wird die Lernfähigkeit als »kulturelle Evolution« beschrieben: Systeme, die sich an neuen Umweltbedingungen nicht anpassen können, geraten früher oder später in »evolutionäre Sackgassen«.
- Vollständiger Vortragstext
- Der Vortrag wurde im Rahmen der Fachtagung »Die Bedeutung von Kunst und Kultur für eine nachhaltige Entwicklung von Städten und Regionen«, 16.04.2018. Veranstalter: Kulturbüro Rheinland-Pfalz. Ort: Dreikönigenhaus, Koblenz
Zum Thema
- Nachhaltigkeit als kulturelle Herausforderung. In: Vera Steinkellner (Hrsg.): CSR und Kultur. Berlin/Heidelberg: Springer, 2015 (S. 41-70)
- The Cultural Dimension of Un/Sustainability – Delicate Distinctions between Societal Survival and Collapse. In: Sigurd Bergmann, Dieter Gerten (eds.): Religion and Dangerous Environmental Change, Transdisciplinary Perspectives on the Ethics of Climate and Sustainability. Münster: LIT-Verlag, 2010
- The Cultural Dimension of Sustainability. In: Sacha Kagan / Volker Kirchberg (eds.): Sustainability: a new frontier for the arts and cultures. Frankfurt am Main: VAS – Verlag für akademische Schriften, 2008 (S. 26-58)
- Die Umweltkrise – eine Krise der Kultur. In: Günter Altner, Heike Leitschuh et al. (Hrsg.): Jahrbuch der Ökologie 2008. München: Verlag C.H. Beck, 2007 (S. 115-126)
- Die kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit. In: Magazin Cultura21. Herausgeber Institut Cultura21 e.V. Köln, 2007
Bild: © Davide Brocchi
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